Historisch

Historisch

An strategisch günstiger Lage in der Nähe des Hellwegs entwickelt sich 822 das erste Kloster im sächsischen Raum zum eigenständigen Herrschaftssitz mit überregionalem Einfluss. Das Bendiktinerkloster mit seiner bedeutenden Bibliothek erblüht im 9. und 10. Jahrhundert zum geistigen, kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum, das wichtige Impulse für die Christianisierung in Europa setzt. Bekannte Bischöfe gehen aus Corvey hervor, viele Herrscher kommen an die Weser und halten dort Reichstage ab.    

Bauhistorisch ist das karolingische Westwerk aus der Frühzeit der Benediktinerabtei von herausragender Bedeutung. Das mächtige Turmgebäude mit der noch heute erhaltenen Eingangshalle gilt nicht nur als das älteste Bauwerk in Westfalen, sondern als das älteste Westwerk überhaupt. Die prächtigen Wandmalereien mit Szenen aus der Odyssee sind teilweise in Resten erhalten. Auch in archäologischer Hinsicht ist Corvey mit seinem karolingischen Klosterbezirk, der Civitas, einzigartig.

Im Dreißigjährigen Krieg wird die mittelalterliche Abtei zu großen Teilen zerstört. Erst in der Barockzeit durch die Bemühungen verschiedener Fürstäbte erhält Corvey einen neuen Aufschwung, bevor das Fürstbistum schließlich im Jahre 1803 aufgelöst wird. 1820 wird Viktor Amadeus der Landgraf von Hessen-Rothenburg der neue Eigentümer von Corvey. Seine Erben sind die Herzöge von Ratibor, die Fürsten von Corvey.

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ARCHITEKTUR UND BAUGESCHICHTE

Die Grundsteinlegung zur karolingischen Abteikirche erfolgte im Jahr 822. Es war eine dreischiffige Basilika mit einem quadratischen Chor und einem Kapellenanbau. Die Kirche wurde im Jahr 844 geweiht. Vor 873 wurde dieser Bau durch Querarme und einen neuen Chor erweitert.

Zwischen 873 und 885 wurde eine Dreiturmanlage errichtet. In den Jahren 1145 bis 1159 unter Abt Wibald von Stablo erfolgte die Umgestaltung dieser Dreiturmanlage zu der heute noch bestehenden Doppelturmfassade. Dazu zählten die Abtragung des zentralen mittleren Turms sowie die Aufstockung der beiden Fassadentürme. Zwischen 1585 und 1616 erfolgte ein zweiter großer Umbau unter Abt Theodor von Beringhausen. Arbeiten und Renovierungen an den Turmgiebeln und Turmhelmen wurden vorgenommen.

Der Dreißigjährige Krieg führte zum Untergang der karolingischen Abteikirche. Mit Ausnahme des Westwerks wurde die Kirche 1665 abgebrochen. Der Kirchenneubau erfolgte zwischen 1667 und 1671 im Wesentlichen nach den Entwürfen des Kapuzinerpaters Polykarp und durch den Architekten Niclas Dentel. Die Abschlussweihe fand im Jahre 1683 statt.

Die karolingischen Abteigebäude wurden während des Dreißigjährigen Krieges stark zerstört. Der Neubau der Abtei begann 1699 unter Fürstabt Florenz von dem Felde und wurde im Jahr 1714 unter Fürstabt Maximilian von Horrich vollendet. Unter den folgenden Fürstäbten Carl von Blittersdorf und Caspar von Böselager entstanden die Vorgebäude mit Uhrenturm und Toranlage, die Remise (Justus Wehmer, 1730) sowie das Teehaus (Franz Christoph Nagel, 1741).

Corvey in Zahlen

  • 844 wurde die erste Steinkirche in Corvey geweiht
  • 1145 Umgestaltung des Westwerks
  • 1699 Neubau der Abtei als barocke Residenz

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1.200 JAHRE KULTURGESCHICHTE – VON DER KAROLINGISCHEN GLAUBENSBASTION ZUR BAROCKEN RESIDENZ

In den Dauerausstellungen des Museums in Corvey wird die wechselvolle Geschichte der ehemaligen Reichsabtei seit dem 9. Jahrhundert erlebbar.

CORVEY IM MITTELALTER

Die Zeitreise beginnt mit einer der bedeutendsten karolingischen Klostergründungen des mittelalterlichen Deutschland. Die Benediktinerabtei Corvey war vergleichbar mit der Reichenau in Schwaben oder Fulda in Franken. Mit der Überführung der Reliquien der Heiligen Stephanus und Vitus wurde die Abtei auch ein wichtiger Wallfahrtsort. Die Reichsabtei galt vom 9. bis zum 12. Jahrhundert als geistiges, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum innerhalb Nordeuropas.

CORVEY IM BAROCK

Ein weiteres Aufblühen erlebt Corvey im Zeitalter des Barock. Mit dem Neubau der Abteikirche in den Jahren 1667 bis 1674 leitete Christoph Bernhard von Galen, Fürstbischof von Münster und damals Administrator von Corvey, die größte Bauperiode ein, die das Stift bis 1740 erlebte. Durch den Umbau der Anlage zu einer barocken Residenz erhielten die residierenden Fürstäbte die geeignete Kulisse zur Repräsentation. Es entstanden kunstvolle Stukkaturen, Deckenmalereien sowie eine kostbare Ausstattung der Abteikirche mit barockem Inventar.

CORVEY IM BIEDERMEIER

Ein weiteres Aufblühen erlebt Corvey durch den Landgrafen von Hessen-Rothenburg zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Epoche des Biedermeier. Die historischen Wohnräume des Landgrafen Viktor Amadeus und seiner Frau Elise liegen im Westflügel des Konventgebäudes. Sie zeigen mit Ihrer Einrichtung und den den wertvollen französischen Tapeten den Stil des Spätklassizismus und des Biedermeier. Ebenso eindrucksvoll präsentiert sich die Fürstliche Bibliothek im Nordflügel, deren Grundbestand auf die Sammelleidenschaft des Landgrafen und seiner Nachfolger der Herzöge von Ratibor zurückgeht.

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DURCH JACOB GRIMM KAM ER ZUR DEUTSCHEN LITERATUR

Ihre Geschichten von Brüderchen und Schwesterchen, von bösen Stiefmüttern, schönen Königstöchtern, verliebten Prinzen und klugen, weisen  Tieren sorgen selbst in iPad-Zeiten noch für leuchtende Kinderaugen. Vor 200 Jahren erschien die Erstausgabe der Kinder- und Hausmärchen, gesammelt von Jacob und Wilhelm Grimm. Die beiden Sprachwissenschaftler gelangten zu Weltruhm, in rund 160 Sprachen wurden die Grimm´schen Märchen inzwischen übersetzt. Seit 2005 hat die UNESCO die Sammlung als Weltdokumentenerbe anerkannt. Viele Städte, darunter Hanau, Steinau, Marburg, Kassel, Göttingen und auch Berlin, gegeben sich im Jubiläumsjahr auf Spurensuche. Aber auch zur Märchenlandschaft entlang der Weser pflegten die Brüder enge Beziehungen, unter anderem zu Corveys späteren Bibliothekar August Hoffmann von Fallersleben und zum Romantikerkreis in Bökendorf.

Deutsche Sprache und Literatur, alte Handschriften, deutsche Volkslieder und das politische Streben nach einem einheitlichen Deutschland verbanden Hoffmann von Fallersleben und die Grimms. Jahrzehnte, bevor der rührige Bibliothekar die Fürstliche Büchersammlung in Corvey auf Vordermann brachte, lernten sich die bibliophilen Persönlichkeiten kennen und schätzen.

Obwohl Hoffmann mit 18 Jahren in Göttingen ein Studium der Theologie begann, interessierte er sich doch eigentlich mehr für die Geschichte des klassischen Altertums. Als der junge Student im Museum und der Bibliothek in Kassel forschte, machte er im Jahre 1818 die Bekanntschaft mit Jacob Grimm, der dort als Bibliothekar arbeitete. Der fragte Hoffmann bei seinen Studien ein wenig provozierend, ob diesem bei aller Begeisterung für die Antike das Vaterland nicht näher läge. Hoffmann von Fallersleben, schon in jungen Jahren ein politisch interessierter Mensch, überdachte seinen bisherigen Studienwunsch, wechselte dann zum Studium der Germanistik. An der Universität Bonn wurde Jacob Grimm dann auch einer seiner Dozenten.

Für den Dichter des Deutschland-Liedes waren die Brüder Grimm stets große Vorbilder, wenn man auch nicht immer einer Meinung war. Aber das änderte nichts an dem regen Briefverkehr, der zwischen 1818 und 1852 belegt ist. Aber auch der persönliche Kontakt gehörte dazu. Hoffmann von Fallersleben war seit 1820 ebenfalls Gast des Bökendorfer Romantikerkreises, der sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts um die Adelsfamilie von Haxthausen in Bökendorf bildete. Wilhelm, Jacob und vor allem auch der malende Bruder Ludwig Emil Grimm besuchten seit 1811 regelmäßig das Herrenhaus Schloss Bökerhof, wo sie nicht nur die Sommerfrische genossen, sondern persönlich-literarischen Austausch mit Kollegen wie Annette von Droste-Hülshoff oder auch Hoffmann von Fallersleben schätzten. Aus diesem Umfeld kamen zahlreiche Geschichten in die berühmt gewordene Sammlung der „Kinder- und Hausmärchen“, unter anderem das „Mädchen von Brakel“ und auch die „Bremer Stadtmusikanten“, wie jüngste Forschungen ergeben haben.

Hoffmanns Kritik an Willkür, Pressezensur, Allmacht von Polizei und Militär und der Kleinstaaterei in Preußen hatte zur Folge, dass er selbst 1842 seiner Breslauer Professoren-Existenz enthoben wurde.

In den letzten Jahren ihres Lebens wird der Kontakt der Grimms zu Hoffmann sicherlich nicht mehr so eng gewesen sein. Dazu kam auch noch die große Entfernung von Berlin nach Corvey. Wilhelm Grimm starb 73-jährig im Jahre 1859, sein Bruder Jacob, 78 Jahre alt, im Jahre 1863, drei Jahre später, nachdem Hoffmann von Fallersleben seine Aufgabe als Bibliothekar bei Viktor dem I. Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey übernommen hatte.  Was heute bleibt, sind zahlreiche Spuren dreier besonderer Persönlichkeiten, die sich um das deutsche Kulturgut überhaupt und um die Germanistik als wissenschaftliches Fach hoch verdient gemacht haben.

HOFFMANN UND DIE MUSIK

Wer kennt sie nicht: Die Kinderlieder von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Mehr als 500 davon hat der Dichter im Lauf seines Lebens gesammelt, verfasst und teilweise auch selbst vertont. Einige davon sind in Corvey entstanden.

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Insgesamt drei Bibliotheken wurden über die Zeit in Corvey aufgebaut. Zunächst waren es Mönche und Äbte des Mittelalters, die Bibeln und Geschichtstexte handschriftlich und kunstvoll kopierten. Zuletzt sammelte Hoffmann von Fallersleben als Bibliothekar des I. Herzogs von Ratibor in Corvey den Buchschatz der Barock- und Biedermeierzeit. So entstand eine der größten Privatbibliotheken Deutschlands, die bis heute vollständig erhalten ist und in Corvey besichtigt werden kann.

KLOSTERBIBLIOTHEK DES MITTELALTERS

Das ehemalige Benediktinerkloster besaß in seiner Blütezeit vom 9. bis 12. Jahrhundert eine bedeutende Schreibschule (Scriptorium) und eine damals schon viel beachtete Bibliothek mit herausragenden Objekten der Buch- und Schreibkunst. Die Corveyer Mönche pflegten mit Vorliebe die antiken Schriftsteller.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde die berühmte Abschrift der Tacitus-Annalen aus Corvey  gestohlen. Papst Leo X. gelangte in den Besitz der Abschrift. Heute befindet sie sich in der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz.

DIE KLOSTERBIBLIOTHEK DES BAROCK

Dem Corveyer Abt Maximilian von Horrich (1714-1721) ist es zu verdanken, dass in der Barockzeit ein neue Bibliothek aufgebaut wurde und im 17. und 18. Jahrhundert über eine qualitätsvolle Sammlung verfügte. Nach der Säkularisation im Jahre 1803 wurden viele Bücher aus Corvey geraubt, entwendet und in alle Winde verstreut. Die meisten Bücher sind aber in Paderborn, Marburg und anderen Bibliotheken erhalten.

FÜRSTLICHE BIBLIOTHEK CORVEY

Die dritte Bibliothek in Corvey, die Fürstliche Bibliothek aus dem 19. Jahrhundert ist ohne nennenswerte Verluste erhalten.

Der Dichter und Germanist August Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), welcher seine letzten Lebensjahre als Bibliothekar des I. Herzogs von Ratibor in Corvey verbrachte, prägte das Profil der Bibliothek entscheidend, indem er wertvolle Einzelwerke, Pracht- und Ansichtenbände anschaffte. Auch virtuell ist die Sammlung heute nutzbar.